Aber in der Realität fühlt es sich oft eher an wie ein inneres Ringen.
Ein Kampf zwischen dem einen Teil in uns, der längst weiß: “Ich sollte das jetzt mal gehen lassen.” Und dem anderen Teil, der sich mit aller Kraft daran festklammert.
Unser Nervensystem liebt das Bekannte.
Auch wenn das Altbekannte unbequem ist – es ist vertraut. Unser System sucht vor allem eins: Sicherheit.
Und das bedeutet nicht unbedingt Glück oder Freude, sondern: “Ich weiß, wie das hier funktioniert.”
Auch wenn der Gedanke schmerzt, auch wenn die Beziehung toxisch ist, auch wenn die Überforderung uns lähmt – wir kennen sie, sie ist uns bekannt.
Und wenn es bekannt ist, bedeutet es für unser Nervensystem automatisch: Es ist nicht lebensbedrohlich.
Stell Dir vor, Du stehst barfuß im Schlamm. Es ist matschig, rutschig, unangenehm – aber Du hast es irgendwie geschafft, einen festen Stand zu erreichen.
Neben Dir liegt ein schöner Holzsteg, trocken und stabil. Um dorthin zu kommen, müsstest Du einen Schritt machen.
Und genau dieser eine Moment, in dem Du die Füße vom rutschigen Boden hebst – das ist der Moment, den wir fürchten. Weil wir nicht wissen, was in diesem Moment passiert.
Wir hängen nicht nur an Menschen oder Situationen – sondern auch an Gefühlen, Geschichten, Selbstbildern.
Manchmal halten wir an einer Schuld fest, weil wir glauben, sie macht uns zu einem besseren Menschen.
Oder wir halten an Wut fest, weil sie uns eine gewisse Kraft gibt.
Auch Enttäuschungen können wir wie Ehrenabzeichen mit uns herumtragen – ganz nach dem Motto: „Wenn ich das loslasse, war alles umsonst.“
Hast Du Dich schon mal gefragt, ob es etwas gibt, woran Du festhältst? Weil Du glaubst, sonst etwas zu verlieren – Identität, Kontrolle, Gerechtigkeit?
Ich habe als junger Mann einmal ziemlichen Bockmist in einer Beziehung gebaut.
Ich konnte mir mein Verhalten nie wirklich erklären – und vermutlich habe ich mir deshalb, seitdem selbst nicht erlaubt, nochmal glücklich in einer Beziehung zu sein.
Fast schon wie eine Art Selbstbestrafung.
Erst viele Jahre später habe ich erkannt, dass ich dadurch nur verhindert habe, wieder glücklich zu werden. Das hat jedoch weder mir, noch der Frau, die ich damals so verletzt hatte, in irgendeiner Weise weitergeholfen.
Die sinnvollere Variante wäre gewesen:
Erkennen, was ich falsch gemacht habe – und in Zukunft herausfinden, wie man es richtig macht.
Gerade bei Gefühlen wie Schuld, Wut, Trauer oder Liebe ist Loslassen kein rein mentaler Prozess.
Alle inneren Anteile – auch unser Emotionalkörper – müssen bereit dazu sein.
Doch unsere heutige Welt lässt oft nur wenig Raum für diesen Prozess.
Die Leistungsanforderungen und die Ungeduld unserer modernen Zeit erwarten, dass wir schnell wieder funktionieren und am besten ohne Pause, gewohnt Leistungsstark bleiben. Getrieben von diesem Erwartungsdruck verdrängen wir dann oft unsere eigenen Bedürfnisse und machen einfach weiter.
Doch genau dieser Zwischenraum – quasi eine Karsamstag-Phase – ist so wichtig:
Ein Moment, in dem das Alte bereits gegangen ist, aber das Neue noch nicht da.
Ein Moment der Neuorientierung.
Ein Moment, in dem wir uns neu kennenlernen und ausrichten dürfen.
Verdrängen: Loslassen bedeutet nicht, etwas zu vergessen oder zu ignorieren.
Aufgeben: Es braucht Mut, loszulassen. Nicht Kontrolle.
Gleichgültigkeit: Loslassen heißt nicht, dass es Dir egal ist.
Es heißt, dass Du die Geschichte – Deine Geschichte – anders weiter schreibst. – Mit offenem Herzen, statt mit geballter Faust.
Benennen: Ein einfacher Satz wie „Ich merke, dass ich gerade noch festhalte an…“ kann Wunder wirken.
Präzision: Statt „Ich halte an alten Dingen fest“ – lieber:
„Ich halte an der Vorstellung fest, dass ich immer alles alleine schaffen muss.“
„Ich möchte erkennen, dass ich auch Hilfe annehmen darf.“
Ressourcen aktivieren: Spaziergänge, Musik, Gespräche mit inspirierenden Menschen
Schreiben: Ein Brief (auch wenn Du ihn nie abschickst) kann Dir helfen, Klarheit zu gewinnen.